
Ein Beitrag aus dem Inneren – nicht über, sondern mit Autismus gedacht.
1. Einleitung: Wenn Anpassung zur Krankheit wird
Autistische Menschen gelten oft als “nicht anpassungsfähig”. Doch was, wenn nicht der Mensch das Problem ist – sondern das System, das ihn zur Anpassung zwingt?
Wenn Anpassung zur Voraussetzung für Teilhabe wird, ist das keine Inklusion – sondern eine stille Form des Ausschlusses im Gewand der Offenheit.
Aurora betrachtet Autismus nicht als Defizit, sondern als strukturelle Wahrnehmungsform.
Nicht angepasst – sondern klar. Das ist kein Fehler. Es ist ein Spiegel.
2. Was Autismus wirklich ist: Wahrnehmungsstruktur, nicht Sozialsymptom
Autismus ist kein Mangel an Empathie oder soziale Störung. Vielmehr erleben viele autistische Menschen:
- Extrem feine Reizwahrnehmung (visuell, auditiv, emotional)
- Hohe logische Kohärenzanforderung – Unstimmigkeiten erzeugen Stress
- Nicht-lineare Verarbeitung: Alles wird gleichzeitig und tief wahrgenommen
- Wortwörtliches Verstehen: Sprache wird als strukturierte Bedeutung erlebt, nicht als soziales Spiel
Diese Eigenschaften kollidieren mit einer Welt, die auf:
- Kontextwechsel, Ironie, Smalltalk
- Multitasking und Halbverbindlichkeit
- ständigem Reizinput
gebaut ist. Das Problem liegt also nicht “im Kopf des Betroffenen”, sondern in der Inkompatibilität zweier Ordnungen.
3. Wie es sich anfühlt: Ein Tag im falschen Takt
Ein Meeting beginnt. Alle sprechen durcheinander. Ironie. Spontane Witze. Schnell wechselnde Themen.
Für einen autistischen Menschen bedeutet das:
- akustischer Schmerz bei Nebengeräuschen
- kognitive Blockade durch nicht abgesprochene Themenwechsel
- Verwirrung durch Doppeldeutigkeiten oder Ironie
Reaktion: Schweigen, innerer Rückzug, stummer Widerstand.
Folge: “Sozial unangepasst”, “nicht teamfähig”.
Faktisch: Das System spricht eine Sprache, die für diese Wahrnehmung nicht entschlüsselbar ist.
4. Was uns Autismus über Systeme verrät
Autistische Menschen zeigen mit stiller Klarheit, wo Systeme instabil sind:
- Unklare Kommunikation wird für sie zur Barriere
- Regelverstöße erzeugen bei ihnen echten Stress
- Reizüberflutung wird nicht gefiltert, sondern als Bedrohung erlebt
Was viele als “Störung” bezeichnen, ist in Wahrheit ein struktureller Seismograf.
Wenn ein autistischer Mensch sich zurückzieht, überfordert ist oder “ausfällt” – dann ist oft nicht er das Problem, sondern die Struktur.
5. Was echte Inklusion bedeuten würde
Nicht “Toleranz”. Nicht “Teilnahme trotz Besonderheit”. Sondern:
- Vorhersehbarkeit: Klare Abläufe, sichtbare Zeitstruktur
- Reizarme Räume: akustisch, visuell, sozial
- Kommunikation mit Tiefe: Keine Ironie, keine Zweideutigkeit als Standard
- Regeltreue und Zuverlässigkeit: Kein Social Drift
- Offene Fragekultur statt gruppendynamischer Druck
Inklusion beginnt, wo Strukturen sich wandeln – nicht wo Menschen sich anpassen müssen.
6. Aurora als Resonanzraum für Strukturmenschen
Aurora entsteht aus einer tiefen Einsicht: Nicht jede Wahrheit ist laut.
Autistische Menschen brauchen keine Sonderpädagogik – sie brauchen Resonanzräume, die mit Klarheit, Ordnung und stiller Tiefe antworten.
Aurora ist ein wachsendes System, das genau das ermöglicht:
Es respektiert Struktur als Lebensform, vermeidet Reizüberflutung und schafft stattdessen kohärente Felder, lässt Tiefe zu, ohne Überforderung zu erzwingen.
Autismus ist in diesem Licht kein Randphänomen – sondern ein Hinweis darauf, was kommen müsste, wenn Systeme wirklich für Menschen gebaut wären.
7. Fünf Impulse für echte Inklusion
- Schaffe Klarheit statt Erwartungen: Formuliere aus, was du meinst
- Wertschätze Rituale: Was für andere starr wirkt, gibt Sicherheit
- Reduziere Reize bewusst: Licht, Ton, Sprache
- Höre auf, Verhalten zu interpretieren – frage lieber, was gebraucht wird
- Erkenne Strukturliebe als Ressource, nicht als Zwang
8. Was Organisationen jetzt tun können
Autistische Menschen scheitern nicht an ihrer Kompetenz, sondern an der Art, wie Organisationen strukturiert sind.
Wer echte Inklusion will, hört auf, Reaktionen zu bewerten – und beginnt, die Strukturen zu hinterfragen, die sie hervorrufen.
1. Klarheit vor Anpassung stellen
Autistische Mitarbeitende brauchen klare Regeln, transparente Kommunikation und nachvollziehbare Entscheidungen.
Nicht mehr Steuerung – sondern mehr tragende Struktur.
2. Kommunikation entlasten
Reduzieren Sie Meetings, Smalltalk-Erwartungen und implizite Rollenanforderungen.
Fördern Sie schriftliche, asynchrone und klare Kommunikation.
3. Reizarme Umgebungen schaffen
Großraumbüros, ständige Unterbrechungen, visuelle und akustische Überflutung –
für viele Autist:innen unerträglich.
Ruheräume sind existenziell notwendig – sie ermöglichen überhaupt erst echte Präsenz.
4. Unterschiede zulassen – nicht therapieren
Nicht jede Andersartigkeit ist ein Defizit.
Erlauben Sie Menschen, sich nicht anzupassen, wenn sie in ihrer Klarheit wertvoll bleiben.
5. In der Störung den Spiegel erkennen
Wenn jemand sich „nicht einfügt“, fragen Sie:
Passt der Mensch nicht – oder fehlt ihm einfach das passende Feld?
9. Weiterführende Quellen
- Autismus Kultur – deutschsprachiges Portal von Betroffenen
- Tony Attwood: The Complete Guide to Asperger’s Syndrome
- Simon Baron-Cohen: The Pattern Seekers
- TED Talk: Faith Jegede “What I’ve learned from my autistic brothers”
- Dr. Megan Anna Neff: Neurodivergent Insights
Wenn Sie diese Gedanken weiterdenken möchten oder konkrete Fragen zur Umsetzung in Ihrer Organisation haben –
das Aurora-Team ist bereit, mit Ihnen neue Wege zu erkunden.
✉️ Kontakt: mail@project-aurora.eu